Case Studies
June 1, 2021

Case #

2021.02

Hybrider Organisationswandel: Wie eine Organisation "Führung" zum Thema für alle gemacht hat

März 2020, Starnberg bei München. Eigentlich haben sich die Mitarbeiter das ganz anders vorgestellt, als im vergangenen Herbst klar wurde – wir als Organisation FortSchritt wollen aktiv in einen Organisationswandel einsteigen. Zeit wolle man sich dafür nehmen, nach Auftaktveranstaltungen im Winter solle es dann im Frühjahr 2020 richtig los gehen. Doch dann der Lockdown, die Kontaktbeschränkungen und die Einrichtungen im Notfallbetrieb. Ausreichend Gründe, um den Organisationswandel zu re-priorisieren. Doch FortSchritt hat sich für die Priorisierung entschieden. Nun blicken Geschäftsführung, Mitarbeiter und Prozessbegleiter zurück und teilen bisherige Erfahrungen, Gelingensfaktoren und Herausforderungen eines “hybriden” Organisationswandels.


Inklusion & Vielfalt - mit diesen zentralen Werten setzt die Geschäftsführerin Tatijana von Quadt den Grundstein des bevorstehenden Organisationswandels. Denn diese Werte beziehen sich nicht nur auf das, was sie täglich in den Einrichtungen und der Verwaltung tun, sondern sie sollen ebenso eine Leitplanke dafür bieten, wie bei FortSchritt miteinander gearbeitet wird. Ihr Ziel ist es, mit dem Wandelprozess eine noch intensivere und wertschätzende Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit viel Austausch, Eigenständigkeit und guten innovativen Projekten zu fördern. 

Sie betont dabei die Offenheit für neue Konzepte, vor allem im Hinblick auf die Beteiligung der einzelnen Mitarbeiter. “Ich will Ihnen einen Rahmen geben und Sie im Prozess unterstützen” lautet ihr Angebot auf einer der ersten Orientierungs-Veranstaltungen Ende 2019, die den “Wandelstein” ins Rollen gebracht haben.


Der Wandel als Akupunktur-Prozess

Im November 2019 fällt dann der Startschuss für den Prozess “Organisationswandel bei FortSchritt”: Aufbauend auf ersten Orientierungs-Workshops mit Führungskräften und Mitarbeitenden aus verschiedenen Organisationsbereichen startete daraufhin die Proto-Phase. Akupunktur-ähnlich wurden in dieser Phase gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen der Organisation einzelne Teams dabei begleitet Prinzipien der Selbstorganisation im konkreten Tun für sich anzuwenden und kleine Experimente aufzusetzen. Für die Auswahl der Teams wurde zunächst das Zentrum der Wertschöpfung (die Einrichtungen) in den Fokus genommen, sowie ein übergreifendes Projekt, das aus Mitarbeitenden aus Einrichtungen und Verwaltung auf freiwilliger Basis gemischt zusammengestellt wurde. 

Einzige Prämisse für die Proto-Teams war die operative Nähe und Anwendung im eigenen Tun. Denn nur, wenn das Ausprobierte einen Nutzen für die eigene Arbeit bringt, bleibt die Bereitschaft zum Dranbleiben erfahrungsgemäß in einem längeren Prozess bestehen. 


Es ist wichtig, dass der Nutzen für die eigene Arbeit in Prozess klar sichtbar wird.
- Alícia  

Der Prozessvorschlag zu diesem Akupunktur-Vorgehen beruhte vor allem auf dem Ziel den Spagat zwischen zwei wichtigen Erfolgsfaktoren zu schaffen: Einerseits den Wandel in kleinen Schritten zu starten, andererseits transparent und offen möglichst alle Mitarbeiter*innen mitzunehmen.

“Es war sehr wichtig im Prozess Ängste vor Veränderung abzubauen. Auch meine eigenen Befürchtungen haben eine große Rolle gespielt.” reflektiert Tatijana von Quadt die Prozessgestaltung.


Führung - ein Thema für alle 

Führung ist ein zentrales Thema im Organisationswandel bei FortSchritt. Oftmals wird Führung einzig als disziplinarische Position verstanden, doch der Wandelprozess baute auf einem breiten Führungsverständnis auf. 


“Uns war es wichtig, ein breites, ganzheitliches Führungsverständnis zu vermitteln und jedem den Raum zu geben, das Spektrum der Führung selbst zu erkunden.”
- Sarah


Mit den Mitarbeitenden wurden daher ebenso wie mit Führungskräften Fragen der Selbst-Führung, des gemeinsamen Führens aber auch des Geführtwerdens reflektiert. Dieses Verständnis von Führung steht einem eher traditionellen Denken natürlich gegenüber, indem die Verantwortung des Einzelnen per Jobbeschreibung begrenzt wird. 

In Workshops mit Führungskräften, Führungscoachings und in der Teambegleitung wurde es dann konkret: Welche Werkzeuge haben wir, um mit diesem Führungsverständnis erfolgreich gemeinsam zu arbeiten? Wie können beispielsweise Mechanismen der Entscheidungsfindung oder auch die Arbeit in Rollen helfen, das Spektrum der Führung für uns passend abzubilden?

Der Wandel hin zu mehr geteilter Führung bedeutete nicht nur für Mitarbeiter, sondern vor allem auch für Führungskräfte ein Umdenken und entsprechendes Handeln. Ein wichtiger Schritt zu einem gemeinsamen Führungsverständnis war daher, dass “von oben” entsprechend kommuniziert wurde, dass Macht zukünftig ver- und geteilt wird.

Hybrider Wandel: Kontakt “ohne” Kontakt

Organisationswandel bei Fortschritt ist ein Prozess, der sich dafür stark macht, den Mensch ins Zentrum der Organisation zu stellen. Wie kann man das über rein virtuellen Kontakt gestalten? 

Zunächst wurde der Prozessablauf angepasst - anstatt eintägiger Veranstaltungen vor Ort gab es nun zweistündige virtuelle Treffen über einen längeren Zeitraum verteilt, denen ein Online Training vorgeschaltet wurde. Schließlich sollte die Technik nicht die nötige Aufmerksamkeit einnehmen. 

Neben den technischen und prozessualen Anpassungen stand aber allem voran die Offenheit der Mitarbeiter im Zentrum des Möglichmachens.


Ich bewundere immer noch sehr dass sich die Mitarbeiter*innen die Corona Zeit als eine Art Fortbildung mit uns genommen haben und - so war mein Eindruck - dass sie die Zeit effektiv nutzen wollten, auch wenn das online und daher mit einigen Herausforderungen verbunden war.
- Alícia


In gewisser Weise ließ sich die Situation auch besonders gut nutzen. Die Zusammenarbeit sollte bei Start der Arbeit mit den Proto-Teams innerhalb Fortschritts sowieso neu gedacht werden. Und so startete der Wandelprozess sozusagen mit einem ersten Experiment.


Der Umstieg auf das Virtuelle übernahm eine Art Störauftrag und erzeugte einen Musterbruch, den wir in anderen Projekten auch gerne mal bewusst erzeugen. 
- Sarah

Ein Zusammenspiel aus Eigenverantwortung, Orientierung und Experimentieren

Jeder Wandelprozess bedeutet Anstrengung und eine gewisse Zumutung für die Belegschaft. In diesem Fall kam das Krisenjahr 2020 hinzu. 


Der Startzeitpunkt bei Pandemie-Einbruch war eigentlich “perfekt”, vor allem da sich gerade unser Alltag komplett änderte und plötzlich Raum dafür schaffte. Als aber der Regelbetrieb wieder begann, fiel es schwer zwischen unseren Proto-Meetings im Prozess zu bleiben und bei so vielen aufkommenden Themen nicht an alten Strukturen festzuhalten.
- Sabrina

Wie gestaltet man Transformationsprozesse in Krisenzeiten? Möglicherweise birgt ein solcher Prozess in Zeiten der Unsicherheit auch die Hoffnung auf eine neue Stabilität, die den Unsicherheiten der Krise entgegensteht. Wäre es nicht schön, wenn eine neue Form des Arbeitens die aktuellen Herausforderungen direkt bewältigen könnte? Oder bürden wir hier eine unnötige Zusatzbelastung auf, die schlicht nicht priorisiert werden kann?

Für diese Fragen braucht es Raum und eine klare “Ownership”- oder auch Inhaber-Regelung. Eine zentrale Botschaft des Prozesses war daher umso wichtiger: “Selbstorganisation bei Fortschritt ist, was ihr draus macht. Der Organisationswandel seid ihr und ihr seid die Inhaber."


Sobald “Ownership” über den Prozess oder zumindest in Teilen bei der Organisation liegt, ist das ein großer Gelingensfaktor. 
- David

Die Protophase mit den einzelnen Teams basierte deshalb auf dem Angebot der Eigenverantwortung, ohne die Teams aber sich selbst zu überlassen. Einerseits wurden grundlegende Prinzipien, unterstützende Praktiken und Anwendungsbeispiele als Orientierung zur Seite gestellt, andererseits stand der Raum zum Ausprobieren, Experimentieren und Selbst-Machen im Vordergrund. 


Was uns wirklich geholfen hat, war das eigene Ausprobieren und Testen von Tools, die wir an die Hand bekommen haben. Es war toll und wichtig, damit auch “Fehler” machen zu dürfen.
- Tatijana

Dazu gehörte auch, über Austausch- und Feedback-Runden die Intensität des Wandelprozesses in den Krisen-Monaten kontinuierlich je nach Bedürfnissen selbst zu justieren und zu regulieren. 

Mit der Balance als Eigenverantwortung, Orientierungshilfen und kleinen Experimenten haben sich die Proto-Teams über die Zeit neue Praktiken angeeignet und mittlerweile auch schon in die Organisation getragen.

Gekommen um zu bleiben (und zu wachsen)

Wesentlicher Bestandteil des Prozesses war es, den Wandel soweit anzustoßen, dass er auch ohne Begleitung weiter achtsam wachsen kann. Neben der Weiterführung einer Ausprobier- und Reflexionskultur und einer offenen internen Wandel-Kommunikation  gehört zu den bedeutendsten Gelingensfaktoren der eigenständigen Weiterentwicklung zweifelsohne das Aufkommen und Unterstützen einzelner “Agenten des Wandels”. Diese haben sich bei Fortschritt mittlerweile als Selbstorganisations-AG organisiert. 


“Nicht nur, dass sie andere anstecken und motivieren, sie schaffen durch ihr Tun auch eine verständliche Übersetzung des Prozesses in eine in der Organisation geteilte Sprache.”
- David

Mit der offenen Einladung zum Organisationswandel und den dazugehörigen Leitplanken und Orientierungshilfen wurden Funken in der Belegschaft gesprüht - und einige fingen dabei richtig Feuer. Es war wichtig, diesen motivierten Agenten des Wandels den nötigen Raum zu geben, aus eigener Initiative heraus zu handeln.


Ich habe erkannt, dass viel mehr Ressourcen in unserem Team stecken als wir denken und wir kommen gemeinsam auf bessere und innovativere Lösungen als einer allein. Die Motivation steigt, wenn alle das Gefühl haben miteinbezogen zu werden. Ein Prozess hat immer Hochs und Tiefs. Man muss einfach dran bleiben.
- Sabrina

Nun, nach über einem Jahr des Organisationswandels bei FortSchritt, blickt Geschäftsführerin Tatjana von Quadt zufrieden und zuversichtlich zurück wie auch nach vorn: “Es ist ein wundervolles Miteinander entstanden. Viele sind über sich selbst hinausgewachsen und haben tolle Dinge gestartet. Der Prozess ist besonders, weil es Mut braucht als Geschäftsführung loszulassen aber es gleichzeitig unheimlich Spaß macht zu sehen, wie toll unser großes Firmen-Team zusammenarbeiten kann und sich gemeinsam weiterentwickelt. Es gibt noch viele weitere Entwicklungsmöglichkeiten und das lässt mich gespannt in die Zukunft blicken. Sehr gespannt sogar. Ich freue mich drauf!”

Interessiert an einem Austausch zu diesem Kulturwandel-Prozess?
Das Team freut sich über den Kontakt: Alícia Trepat Pont (alicia@ouishare.net), Sarah Eisenmann (sarah@ouishare.net), David Weingartner (david.weingartner@ouishare.net)


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